Der erste Mensch am Nordpol

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Liebe Steemianer,
fälschlicherweise steht immer noch in vielen Lehrbüchern oder Internetseiten (z.B. hier), dass der US-Amerikaner Robert Edwin Peary im April 1909 als erster Mensch den Nordpol betreten hat, obwohl das aus mehreren Gründen sehr unwahrscheinlich ist.

Am schwerwiegensten ist dabei der Umstand, dass Peary die letzen 250km zum Pol in nur 4 Tagen geschafft haben soll, was einer Tagesleistung von >60km entpricht, während die Gruppe davor nur 20km pro Tag schaffte und heutige Forscher mit modernen Schlitten max. 35 km pro Tag schaffen. Auch sind Peary´s Aufzeichnungen unvollständig - genau die Seite in seinem Tagebuch für den Tag am Nordpol ist leer. Seltsam auch, dass Peary 250km vor dem Nordpol den Kapitän und Navigator Robert Bartlett zurückgeschickt hatte, sodaß niemand seine Messungen bestätigen konnte (1).

3 Polarforscher:
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Quellen, gemeinfrei

Aber auch eine weitere Nordpolexpedition, die um diese Zeit stattfand im Wettlauf um den Nordpol, war höchstwahrscheinlich nicht erfolgreich: Im April 1908 behauptete der US-amerikanische Arzt und Polarforscher Frederick Cook (ein Freund Roald Amundsons), den Nordpol erreicht zu haben, nur von zwei Inuit begleitet. Cook wurde aber schon kurz darauf des Betrugs bezichtigt, wohl auch, weil mittlerweile auch bekannt geworden war, dass er zuvor nicht den Denali (=Mount McKinley, der höchste Berg Nordamerikas) erstbestiegen hatte, sondern einen Nebengipfel, der heute Fake Peak heißt (2).

Aber wer war dann tatsächlich zuerst am Nordpol?

Am 12. Mai 1926 überflog der Norweger Roald Amundsen (der bereits als Erster 1911 den Südpol erreicht hatte), zusammen mit Umberto Nobile und Lincoln Ellsworth an Bord der Norge definitiv den Nordpol (betrat ihn dabei aber nicht). Tragischerweise stürzte Nobile zwei Jahre später bei einem zweiten Flug zum Pol mit dem Luftschiff Italia (einem Nachfolger der Norge) ab. Er wurde zwar danach gerettet dank eines funktionsfähig gebliebenen Radiosenders (3), aber Amundsen kehrte von seiner Rettungsmission, ebenfalls per Flugzeug, nie zurück (4). 2009 blieb eine umfangreiche Suche nach seinem Wrack in der Barentssee erfolglos (5).

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Die Norge Quelle, gemeinfrei

Tatsächlich als erste den Nordpol betrat erst 1937 ein Team aus russischen Polarforschern rund um Iwan Papanin (1894-1986), wobei sie eine Eisdriftstation benutzen.

Die Nordpol-1

Am 21.Mai 1937 liessen sich Papanin und sein Team zu viert von einem Flugzeug aus ca. 20km vom Nordpol entfernt auf einer schwimmenden Eisscholle absetzen. Mehrere Flüge im Mai und Anfang Juni lieferten auch insg. ca. 10 Tonnen Ausrüstung. Ihr Lager wurde "Sewerny Poljus 1" - Nordpol 1 genannt. Die Eisscholle hatte zunächst eine Größe von 3200 x 1600 Metern und war 3m dick. Im Sommer wurde es überraschend warm und es bildeten sich auf der Scholle Wasserlachen. Im September wurde es dann richtig kalt und die Forscher konnten ein Iglu bauen. Während der ganzen Zeit drifete die Station nach Süden, an der Ostküste Grönlands entlang, mit einer Geschwindigkeit von bis zu 21 km pro Tag (Durchschnitt war ca. 9km/Tag). Ab dem 4. Okt. setzte die arktische Nacht ein und die 4 Forscher sahen ab dann die Sonne nicht mehr.

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Iwan Papanin auf der Nordpol-1 Quelle, gemeinfrei

Ab Jänner 1938 kam es dann zu schweren Stürmen und wiederholten Stößen. Spalten und Risse bildeten sich. Die Expedition mußte ständig umziehen, während die Eisscholle immer kleiner wurde. Anfang Februar 1938 liefen Eisbrecher aus, um die Expedition zu retten. Am 19. Februar hatte der Eisbrecher Taimyr die Scholle mit den Forschern erreicht. Gerade rechtzeitig - zuletzt war die Eisscholle nur noch 30 Meter breit! In 274 Tagen hatte die Nordpol-1 ca. 2500 km zurückgelegt. Iwan Papanin hatte in der Zeit 30 kg abgenommen (6). Aber der Erfolg der Mission war international beachtlich und für Stalin sehr nützlich, um von den Gräueln seines Regimes abzulenken.

Eigentlich eine verrückte Idee, sich auf einer Eisscholle treiben zu lassen, oder?
Aber bis 1991 (als die Sowjetunion zerfiel) errichteten die Russen insg. 31 solcher Eisdriftstationen (7). Manche davon hielten mehrere Jahre lang, eine (Nordpol-22) sogar 9 Jahre.
Kurios: Als die "Nordpol 8" (die Nummerierung ist fortlaufend, damals war noch der kalte Krieg in vollem Gang) vor der Küste Kanadas aufgegeben werden musste, wurde ein CIA-Team mit Fallschirmen auf der verlassenen Station abgesetzt, um herauszufinden, was die Russen dort getan hatten, der Name der Operation war "Cold Feet".
Zuletzt bestand eine typische Station aus mehreren Häusern (mit Kufen, um sie ggf. rasch bewegen zu können) inklusive Küche, Krankenstation, Garagen, Proviantlager und sogar ein Dampfbad. Zuerst wurden die Eisdriftstationen per Flugzeug bestückt, später von Eisbrechern aus. Moderne Eisbrecher können im Gegensatz zu früher überall operieren, daher könnten die Forscher ja gleich auf den Schiffen bleiben. Aber die Daten, die von Eisdriftstationen aus gewonnenen werden, sind oft zuverlässiger, da die riesigen Eisbrecher die natürliche Zusammensetzung des Eises, Drift, etc. wesentlich beeinflussen.
Daher und weil Putin damit in der Arktis wieder verstärkt Flagge zeigen wollte, wurden danach auch wieder typische Eisdrifstationen errichtet (2007 war bei einer auch erstmals ein Deutscher dabei (8)).
Es kam immer wieder zu Zwischenfällen (Zerbrechen der Eisschollen, Schmelzen und Besuche von Eisbären), aber mittlerweile können die Eisschollenbewohner im Notfall auch per Hubschrauber evakuiert werden.
Eine andere Form der Drifttechnik ist es, ein Schiff absichtlich mit dem Rumpf im Eis festfrieren zu lassen und so passiv als Eisscholle zu driften. Diese Methode ist wesentlich sicherer für die Beteiligten.

Schön und gut, aber wer erreichte auf dem Landweg zuerst den Nordpol?

Wenn man das Sichabsetzenlassen in der Nähe des Nordpols von einem Flugzeug zu Recht nicht als Erstbezwingung des Nordpols gelten lassen will, dann gilt der Ruhm Ralph Plaisted (1927-2008). Der US-amerikanische Schulabbrecher war unter anderem Versicherungsvertreter und Schneemobil-Fan und startete mit seinem Team am 9. März 1968 von der kanadischen Küste aus. Es war ein Wettlauf gegen die Schneeschmelze, gegen die Technik (die Schneemobile der 1960er Jahre waren noch nicht so ausgereift wie die von heute) aber auch gegen eine gleichzeitig stattfindende Expedition von Wally Herbert.
Sie erreichten nach 43 Tagen mit Schneemobilen am 20.April 1968 den Nordpol, und wurden dann ausgeflogen. Diese Reise war etwas bizarr, weil so gar nicht wissenschaftlich (9).
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Zwischendurch wurde die Expedition von der Luft aus mit Treibstoff, Proviant und Bierfässern versorgt Quelle

Walter William „Wally“ Herbert (1934-2007) hatte das Nachsehen, er war schon im Februar 1968 mit seinen Gefährten gestartet, aber erreichte den Nordpol erst am 6. April 1969, fast ein Jahr nach Plaisted und nach 467 Tagen im Eis (!). Der Unterschied: Herbert war mit Hundeschlitten und 40 Huskies unterwegs, er hatte den Anspruch, in die Fußstapfen von Shackleton, Amundsen und Peary zu treten und auf "authentische" Weise den Pol zu bezwingen!

Und heute...

Wie mühsam es ist, die Polarregionen zu Fuß zu bewältigen, zeigt dieses kurze Video von Thomas Ulrich (10) bei einer Vorbereitungsexpedition für seine "Transarctic Solo 2016". Man kann sich kaum vorstellen, wie die Bedingungen für die Menschen vor über 100 Jahren waren, ohne HighTech-Materialien und -schlitten.

Er hat seine Arktisalleindurchquerung später "auf Eis" gelegt. Das wäre seine geplante Route gewesen Quelle:
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Eine komplette Durchquerung der Arktis zu Fuß von Russland bis nach Kanada, dieses Wagnis hat bis jetzt noch kein Mensch versucht und wird vielleicht auch nie einer...

Quellen:
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Nordpolexpeditionen#Umstrittene_Erfolge:Peary_und_Cook
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Frederick_Cook
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Italia
(Luftschiff)
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Norge_(Luftschiff)
(5) https://www.n-tv.de/panorama/Suche-nach-Amundsen-erfolglos-article492124.html
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Nordpol-1
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Eisdriftstation
(8) https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/driften-durch-die-artkis-deutscher-verbringt-sieben-monate-auf-eisscholle-a-547255.html
(9) https://www.nytimes.com/2016/03/20/magazine/an-insurance-salesman-and-a-doctor-walk-into-a-bar-and-end-up-at-the-north-pole.html
(10) https://www.thomasulrich.com/de/index.php

!steemitworldmap 84.977391 lat 34.282524 long The Race to the North Pole d3scr



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Das wär mal ein Platz für das nächste Steemfest,
gibts immer was kühles zu trinken.....

Aber danke für den Interessanten post,
auch die Gegenüberstellung 100km pro tag, die heutigen motorisierten schaffen gerade mal 35km pro tag, .....
lg

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(Edited)

Bei den frühen Polexpeditionen war die Beweislage immer schwierig, auch weil es gar nicht so einfach ist, den Pol auszumachen. Der magnetische Nordpol verändert ständig seine Position und ist zZt. weit vom geographischen entfernt. Und den geografischen Pol zu finden war damals schwierig (mittels Sextant usw. - wenn man den Himmel überhaupt sehen kann), heute hat man für sowas GPS.
Zudem wurde um des Ruhmes (und damit Geldes) willen gelogen das sich die Balken bogen, schließlich konnte niemand das Gegenteil beweisen.
Eins zumindest ist unbestritten: das müssen damals unheimlich harte Hunde gewesen sein. Mit den einfachen Mitteln teilweise Jahre in dieser lebensfeindlichen Umgebung auszuhalten, das war schon bewundernswert. Auch wenn dem einen oder anderen ein paar hundert Kilometer zum Erfolg gefehlt haben mögen.

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Faszinierende Welt ist das da oben. Hab die Packeisgrenze mehrere male jenseits von Spitzbergen besucht.

Da zu überleben ist eine Kunst. Da durch zu gehen und vielleicht sogar alleine ist Wahnsinn und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich - egal wie gut Du ausgerüstet bist.

Da oben musst Du jede Menge Demut vor der Natur haben, sonst gehste drauf.

!COFFEEA

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Was hat Dich dorthin verschlagen?

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Die Seefahrt...

War damals mit der MS Berlin als Deckstewart für 3 Monate auf den Nordtouren unterwegs.

Damals war die Maxim Gorki noch nicht mit einer Packeisscholle kollidiert und Leck geschlagen, war dann später aber der Fall.

Spitzbergen und Norwegen sind genial. Geiranger Fjord einfach toll. Die Mitternachtssonne am Nordkap - auch ein Erlebnis...

Auch wenn die Arbeit anstrengend war - war es auf jeden Fall eine Erfahrung. Hab dann auf den Ostseefahrten auch die UDSSR in Riga, Talin und Leningrad 1987 kennengelernt. Leningrad heisst heute ja St.Peter Burg.

Die Folgen des Sozialismus für die Bevölkerung dort waren eine Katastrophe - und das können sich hier die Westdeutschen sicherlich kaum vorstellen. Denn wer aus dem Westen war schon in der Zone?

Die waren so verarmt, dass man als Westdeutscher schon schlechtes Gewissen haben musste. So ein Schicksal sollten sich die Deutschen auf jeden Fall ersparen. Sind aber auf dem besten Wege dabei sich ebenso durch sozialistische Irrläufer ihr Land, ihre Zukunft und ihr Leben zerstören zu lassen....

Beste Grüße.

!COFFEEA

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Alles richtig gemacht, weiter viel Erfolg...

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ja ja die geschichtsbücher ... . kein kommentar.

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